Ohne die Sportwissenschaften wären Höchstleistungen, wie sie heute erreicht werden, kaum möglich. Aber auch im Breiten- und Gesundheitssport setzen sich Trainingsmethoden und Handlungsstrategien durch, die auf Erkenntnissen der Sportwissenschaft basieren. Im Gegensatz zu den meisten anderen Artikeln hier auf Sport Attack geht es hier nicht direkt um eine spezielle Methode im Training oder irgendwelche Tipps – vielmehr soll versucht werden, Sie darauf aufmerksam zu machen, dass die Anwendung von Erkenntnissen aus der Sportwissenschaft oft schwieriger ist, als manchmal angenommen. Dazu wollen wir zunächst einen kleinen Umweg über die Möglichkeiten der Erkenntnisgewinnung und Anreicherung des eigenen Wissens machen.
Sie lesen gerade einen Artikel auf einer Website zum Thema Sport. Wenn Sie das regelmäßig tun, werden Sie auf Dauer Ihr Wissen steigern. Eventuell stoßen Sie dabei auch auf kontroverse Meinungen. Das kann dazu beitragen, dass Sie irgendwann in der Lage sind, Ihren eigenen Standpunkt zu finden. Das Lesen von solchen Artikeln ist einfach, angenehm und oft interessant, denn Sie erhalten einfache Informationen in nicht zu komplizierten Texten. Meist können Sie Erkenntnisse praxisnah anwenden. Genau deshalb gibt es auch diese Website. Sie sollen sich einfach informieren können und dieses Wissen in irgendeiner Form auch zu Ihrem Vorteil nutzen. Aber bezüglich der Richtigkeit der Informationen müssen Sie dem Autor vertrauen. Das gilt meist auch für Monografien und Ratgeber – es sei denn, sie sind streng wissenschaftlich geschrieben.
Wenn Sie allerdings auf der Suche nach abgesicherten Erkenntnissen sind, werden Sie sich mit wissenschaftlichen Studien auseinandersetzen müssen. Oftmals werden die Ergebnisse dieser auch als Basis für redaktionelle Artikel genommen. Dabei entstehen manchmal Fehlschlüsse, die letzten Endes auch zu falschen Trainingsmethoden führen können. Wenn Sie in einem redaktionellen Artikel einen Verweis auf eine wissenschaftliche Untersuchung finden, sollten Sie zumindest kurz einen Blick in das originale Abstract werfen und sich Gedanken machen, ob die getroffenen Analogien und Verallgemeinerungen auch wirklich gültig sind.
Sind wir doch einmal ehrlich: Eigentlich suchen wir doch immer nach DER besten Trainingsmethode, um unser Ziel möglichst effektiv zu erreichen. Wir suchen also gezielt nach Methoden, die „gute“ Ergebnisse liefern. Das führt oft zur Bildung falscher Analogien. Bedenken Sie, dass wissenschaftliche Erkenntnisse immer in einem ganz speziellen Kontext, in einem speziellen Versuchsdesign, mit dem Ziel der Untersuchung einer ganz bestimmten Variable entstanden sind – und eben zunächst einmal auch nur unter diesen Bedingungen gültig sind.
Beispiel für falsche Analogiebildung:
Das beste Beispiel für falsche Analogiebildung sind die berühmten Tabata Intervalle. Hier findet sich die originale Studie aus dem Jahr 1996. Kurz zusammengefasst kamen die Autoren zu der Erkenntnis, dass beim Training auf einem Indoor Fahrrad ein Intervalltraining von 20 Sekunden auf 170% VO2-Max zu 10 Sekunden Pause im Gegensatz zur moderaten Dauerbelastung die anaerobe Kapazität erhöht. Die maximale Sauerstoffaufnahme erhöhte sich bei beiden Gruppen. Einfach gesagt ist eigentlich das eingetreten, was man erwartet – Die Laktattoleranz steigt bei der Gruppe, die intensiv im anaeroben Bereich trainiert (Das führt zur Steigerung der anaeroben Kapazität.). Nun hat sich Tabata in der Fitness Szene als eine der effektivsten Trainingsmethoden überhaupt herumgesprochen. Auf YouTube finden sich viele Trainingsvideos, die aus Übungen wie Unterarmstütz, Pushups und Situps ein 4-minütiges HIIT Workout zusammenbauen. Fett schmelzen lassen, Muskeln aufbauen und noch viel mehr soll diese Trainingsmethode. Schade nur, dass all diese Dinge gar nicht Untersuchungsgegenstand der Studie waren und sich auch nicht aus den Ergebnissen herleiten lassen. Will man die Analogie sinnvoll nutzen, kann man die berühmten 20-10 Intervalle erst einmal nur sinnvoll für das Ausdauertraining einsetzen; dann machen aber auch nur Übungen Sinn, die in der Lage sind, den Puls richtig in die Höhe zu treiben. Inwiefern man also wirklich damit abnehmen oder Muskeln aufbauen kann, ist also gar nicht sicher.
Ein Beispiel für die Überinterpretation von Ergebnissen stellen die bekannten Faszienrollen dar. Kaum sind sie noch aus den Fitnesslandschaften wegzudenken und seit einiger Zeit sind sie auch beliebt für den Einsatz im Beweglichkeitstraining. Viele sehen sie gar als eine Alternative zum Dehnen und stützen sich z.B. auf Studien wie diese hier von Junker und Stöggl. Dennoch wird auch hier nur gesagt, dass bei diesen unerfahrenen Personen innerhalb von 4 Wochen entsprechende Steigerungen möglich waren. Die Frage „Was ist mit den weiteren Fortschritten?“ lässt sich nicht so einfach beantworten. Auch, wenn diese Studie z.B. innerhalb von 4 Wochen FOAM-Rolling ähnliche Effekte wie PNF Stretching zuschreibt, sollten Sie sich nicht darauf verlassen, dass Sie mit Hilfe der FOAM-Roll auch in den Spagat kommen.
Wenn Sie Ergebnisse wissenschaftlicher Untersuchungen lesen, machen Sie sich stets das genaue Design bewusst, auf dessen Basis diese Erkenntnisse entstanden sind. Sind die Probanden Ihrer Zielgruppe ähnlich? Zielen Sie auf das gleiche Ziel wie die untersuchte Variable ab? Hüten Sie sich vor Verallgemeinerungen und machen Sie im Zweifel eigene Erfahrungen.
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