Auf welche Art und Weise kann unsere muskuläre Bewegung eigentlich eingeschränkt werden? – Es gibt auf jeden Fall nicht nur eine Art der Unbeweglichkeit, denn die Ursachen können vielseitig sein.
Wenn man dem Klischee „Krafttraining macht unbeweglich“ nachkommen will, ist diese Art der Unbeweglichkeit, die einzige, die sich aus dem Kraft- und Muskelaufbautraining ergeben kann. Durch eine Hypertrophie der Muskulatur kann es dazu kommen, dass bestimmte Gelenkwinkel einfach nicht mehr erreicht werden können, weil meist der agierende Muskel selbst die Bewegung durch sein Volumen limitiert. Das Problem kennen Kraftsportler z.B. mit dem „am Rücken Kratzen“ oder, wenn eine vollständige Armadduktion aufgrund eines sehr voluminösen Latissimus nicht mehr möglich ist. Sprinter oder andere Athleten aus dem Laufsport kennen unter Umständen das Problem der „schleifenden Adduktoren“.
Weichteilblockaden sind im Normalfall aber unproblematisch und der Vorteil der hinzugewonnenen Muskelmasse überwiegt dem Nachteil der leicht eingeschränkten Beweglichkeit. Gegenmaßnahmen sind meistens nicht erforderlich.
Nur, weil ein Muskel mehr Masse hat und deswegen kompakter erscheint, ist dieser nicht verkürzt. Im Gegenteil, diejenigen, die ihr Training mit sinnvollem System gestalten und über große Bewegungsradien trainieren, verfügen meist über eine besonders gut ausgeprägte Beweglichkeit.
Propriorezeptorische Einschränkungen sind der Hauptgrund für die Unbeweglichkeit der meisten Menschen. Verantwortlich dafür sind vor allem die Muskelspindeln (Siehe: Anatomie-Teil des Beweglichkeits Specials). Wenn wir einen Bewegungsradius lange nicht nutzen, fällt der entsprechende Reiz auf die Muskelspindeln weg. Es handelt sich bei größeren Bewegungsradien nicht mehr um gewohnte Bewegungen. Ungewohnte Bewegungen interpretiert unser Körper aber immer als mögliche Gefahr für Verletzungen. Deshalb sorgt eine früher einsetzende Kontraktion des Muskels als Reaktion auf den Dehnungsreiz dafür, dass eine entsprechend ungewohnte Gelenkstellung nicht erreicht wird, auch wenn unser Muskel dazu strukturell in der Lage wäre.
Das hat auch seinen Sinn, denn in einer Position, die wir nicht regelmäßig einnehmen, haben wir nicht die koordinativen Grundlagen, um unseren Bewegungsapparat optimal zu kontrollieren und stabilisieren.
Beispiel Narkosemobilisation
Auch, wenn die Narkosemobilisation oft kritisiert wird, da sich die Beweglichkeit im nicht narkotisierten Zustand oft nicht verbessert, ist sie das beste Beispiel, um darzustellen, wie sich unsere strukturelle Beweglichkeit von der realen Beweglichkeit unterscheidet. Unter Narkose entfällt die Gegenspannung des Muskels. So kann dieser bis an sein strukturelles Maximum bewegt werden. Behandelt werden so z.B. Verklebungen oder andere Bewegungseinschränkungen(z.B. Kapselverdickung).
Die strukturelle Länge eines Muskels ist definiert durch die Reihenschaltung an Sarkomeren. Sarkomere sind die kleinsten Funktionseinheiten unserer Muskulatur innerhalb einer Muskelfaser. Die einzelnen kleinen Elemente können kontrahieren oder in die Länge gezogen werden. Je mehr Sarkomere hintereinander in Reihe geschaltet sind, desto länger kann der Muskel werden.
In wie weit ist das trainierbar? Und in wie weit ist das überhaupt beim Menschen möglich?
Es lassen sich zu diesem Thema sehr viele unterschiedliche Ansichten finden. Versuche haben ergeben, dass eine strukturelle Veränderung der Muskulatur durch Vermehrung der Sarkomere in Reihenschaltung bei Ratten auf jeden Fall stattfindet. Ob das auf den Menschen übertragbar ist, ist nicht vollständig geklärt.
Dazu kommt aber noch, dass sich eine deutlich messbare Verringerung der Bündellänge der Muskeln älterer Menschen zeigt. Das lässt scheinbar auch auf die Möglichkeit der Änderung der strukturellen Länge des Muskels hindeuten.
Man geht davon aus, dass sich die strukturelle Länge am ehesten durch funktionelles und exzentrisches Krafttraining beeinflussen lässt.
Also gibt es Hyperplasie- die Vermehrung von Muskelzellen?
Ein Sarkomer ist nur eine Einheit innerhalb einer Muskelzelle. Eine Muskelzelle ist immer eine ganze Muskelfaser (auch Myozyt genannt). Eine Vermehrung der Sarkomere verändert also zwar die Zelle an sich, eine Hyperplasie würde das aber trotzdem nicht bedeuten.
Wir müssen also letzen Endes davon ausgehen, dass die tatsächliche Beweglichkeit unserer Muskulatur ein Zusammenspiel struktureller Länger und propriorezeptorischer Hemmung ist, wenn wir davon ausgehen, dass es die Reihenschaltung von Sarkomeren tatsächlich gibt.
Was geht aber nun schneller? Strukturelle Veränderungen sind zumeist langsamer als Anpassungen in unserem Nervensystem. Der Großteil der Unbeweglichkeit ist deshalb wohl auf propriorezeptorische Hemmung zurück zu führen.
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