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Über Kopfkreisen und Schulterkreisen vorwärts – ungesunde Übungen?

Kopfkreisen – Ein sehr delikates Thema und wahrscheinlich wird auch dieser Artikel auf Kritiker stoßen. Worum geht es überhaupt? Es geht hier um sogenannte Krankmacher- Übungen und wie krank diese Übungen wirklich machen. Speziell geht es hier um das früher beliebte und heutzutage oft verteufelte Kopfkreisen und um das Schulterkreisen vorwärts.

Kopfkreisen

Kopfkreisen – Kritik

Kopfkreisen führt zu einer Verengung der Blutgefäße, die durch die Zwischenwirbellöcher führen. Besonders wird immer wieder die arteria vertebralis genannt – die sogenannte Wirbelaterie versorgt neben der lokalen Muskulatur auch unser Gehirn mit Blut. Wird die Blutversorgung hier gestört, kann es zu Schwindelgefühlen oder im Extremfall zum Keislaufkollaps kommen.  Vor allem in den 80er Jahren gab es sogar zwei Todesfälle im Leistungssport, die Schlagzeilen machten, worauf viele Übungslexika umgeschrieben wurden.

Die zweite Begründung ist, dass die Kopfgelenke nicht für eine Drehbewegung konstruiert sind, sondern nur Bewegung auf jeweils zwei Achsen zulassen. Man steuert also beim Kopfkreisen gegen diese natürliche Bewegung und schadet so den Gelenken.

Genauer hingesehen

Wir möchten uns an dieser Stelle einmal genauer ansehen, welche Gelenke beim Kopfkreisen eigentlich bewegt werden und um welche Art von Gelenken es sich eigentlich handelt. Zu nennen wären hier zum einen das erste Kopfgelenk  zwischen Hinterhaupt und  Atlas(Nicker) und  das zweite Kopfgelenk  zwischen Atlas und Axis(Dreher), sowie die Zwischenwirbelgelenke der weiteren Wirbel der Halswirbelsäule.

Das erste Kopfgelenk…

… ist ein Ei- oder auch Ellipsoidgelenk(Abbildung 2) . Es dient zwar in erster Linie dazu, eine auf und ab Bewegung des Kopfes zu  erreichen, ist aber auch in der Lage, eine seitliche Neigung des Kopfes zuzulassen.

Gelenke_Zeichnung01

„Gelenke Zeichnung01“ von Produnis – Wikipedia

Das zweite Kopfgelenk…

.. besteht vorwiegend aus zwei Teilen, die aber beide eine ähnliche Funktion haben. Den Hauptteil bilden Atlas und Axis zusammen. Sie bilden ein sogenanntes Zapfen- /Radgelenk(Abbildung 5) .  Hiermit wird eine rechts/links Drehung des Kopfes ermöglicht. Etwa 2/3 der Bewegung der „Nein-Bewegung“ finden im zweiten Kopfgelenk statt. Für den Rest sind die Zwischenwirbelgelenke der Halswirbelsäule zuständig.

Die Zwischenwirbelgelenke der Halswirbelsäule

Es handelt sich dabei um plane Gelenke mit relativ großer Gelenkkapsel. Die Gelenke können sowohl eine Flexion, Extension, Lateralflexion, sowie eine Rotation ausführen. Das heißt im Grunde nichts anderes, als dass sie sich in jede Richtung biegen, winden und drehen können. Im Bereich unserer Halswirbelsäule übrigens am meisten, da dies den beweglichsten Teil unserer Wirbelsäule darstellt.

Was passiert jetzt wenn wir mit dem Kopf kreisen?

Diesen Vorgang anatomisch genau zu beschreiben ist gar nicht so einfach, da es sich um ein komplexeres Zusammenspiel aller Gelenke handelt.  Durch dieses Zusammenspiel ist eine sehr feine Bewegung des Kopfes möglich. Bevor aber ein so großer Druck auf unserem Rad und Eigelenk lastet, dass diese Schaden nehmen, haben normalerweise schon die Zwischenwirbelgelenke der HWS Ihren Dienst angetreten. Erst, wenn diese auch ihrer Endstellung näher kommen, fängt es irgendwann an ungesund für diese  beiden Gelenke zu werden. Das ist vor allem der Fall, wenn Sie den Kopf vollständig in den Nacken legen und dort kreisen – dann kann eben das Zapfengelenk auch nur als ein solches Wirken – Kreisen entspricht dann nicht seiner Funktion.Dass es nicht gesund ist auf der Endstellung eines Gelenks herum zu schleifen, sollte aber jedem schon aus reinem Menschenverstand verständlich sein.

Außerdem werden gerade unsere Bandscheiben nur versorgt, wenn sie sozusagen „durchgeknetet“ werden. Das erreichen wir mit einer kreisenden Bewegung am einfachsten, da diese jede Bewegungsrichtung unserer HWS anspricht. Außerdem: Haben Sie schon einmal überlegt, was Sie im Alltag oder im Schlaf für Bewegungen mit Ihrem Kopf machen? Bestimmt keine reinen auf und ab oder rechts und links Bewegungen.

Die  arteria vertebralis ist übrigens bei den meisten Menschen so gut geschützt, dass es keine Probleme gibt, solange Sie gesund sind und nicht mit Gewalt arbeiten.

Wann ist Kopfkreisen okay, wann sollte ich es vermeiden und wie ist es auszuführen?

Kopfkreisen ist eine Mobilitätsübung, keine intensive Dehnübung. Mit zu hoher Spannung bringen Sie Ihre Gelenke in Endstellung, dann wird Kopfkreisen tatsächlich schädlich. Wenn Sie diese Übung ausführen, ist sie besonders langsam auszuführen. Schnelles Kopfkreisen hat nicht viel Sinn und ist eher kontraproduktiv.

Natürlich gibt es gewisse Risikofaktoren. Wenn Sie sowieso Probleme mit der  arteria vertebralis haben, sollten Sie Kopfkreisen vermeiden. Ebenso gilt das für Menschen mit akuten Verletzungen. Chronische Beschwerden sind individuell zu betrachten.

Ob Kopfkreisen empfehlenswert ist oder nicht, hängt also von jedem einzelnen ganz individuell ab. Bevor Sie also einfach loslegen, sollten Sie sich über Ihren Einzelfall klar sein.

Fazit: Kopfkreisen ja, aber nicht zu weit hinten und nicht mit Gewalt!

Schulterkreisen vorwärts

Kritik am Schulterkreisen verwärts

Gerade aus der Lobby der Physiotherapeuten, die fast ausschließlich mit stark geschädigten oder Rehapatienten arbeiten, kommt oft der Rat, Schulterkreisen vorwärts generell zu vermeiden. Der Hintergrund ist eigentlich recht simpel: Die meisten Menschen arbeiten während ihres Berufs(häufig im Büro) sowieso ständig nach vorn. Dies führt zu muskulären Dysbalancen und einem „nach vorne ziehen“ der Schultern. Mit dem vorwärts Kreisen unterstützen wir diese Entwicklung noch zusätzlich.

Kritik an der Kritik

Verständlich ist die Kritik der entsprechenden Lobby auf jeden Fall und auch nachvollziehbar. Nur führt etwas Schulterkreisen zum Aufwärmen tatsächlich so schnell zu einer Verstärkung der Defizite? Und dürfen wir zukünftig nicht mehr Kraulschwimmen?

Immerhin werden durch das Schulterkreisen vorwärts die vordere Schultermuskulatur und die Brustmuskulatur mit aktiviert – und das ist nicht zwangsweise falsch. Wir haben zwar nicht vor, diese Muskeln gezielt zu trainieren(zumindest nicht in diesem Zusammenhang), sie spielen als Antagonisten aber eine wichtige Rolle. Sie kennen das doch aus eigener Erfahrung: Ein Muskel, den Sie vorher ein paar Mal bewegt haben, lässt im Anschluss meistens einen größeren Bewegungsradius zu. Das hängt zum einen mit der Stimulation der Muskelspindeln, zum anderen mit der verbesserten Versorgung der Faszien zusammen. Wenn der Gegenspieler besser „mitspielt“, weil er ordentlich mit erwärmt wurde, ist ein effektiveres Training der Zielmuskulatur möglich – und genau das ist doch unser Ziel, um unsere muskulären Dysbalancen auszugleichen.

So macht eine scheinbar kontraproduktive Übung auf einmal Sinn.

Ganzheitliches Training auch in der Physiotherapie

Wenn funktionelles Training doch so aktuell ist, warum versuchen wir bewusst Muskeln auszuschalten? Klar, wir müssen erst einmal an den Dysbalancen arbeiten und so gut wie möglich wieder eine ausgeglichene Balance herstellen. Doch wo liegt eigentlich die Hauptursache? Wir kennen die Symptome und kennen die Ursache „muskuläre Dysbalance“ . Doch was ist eigentlich die Ursache der Ursache? Etwas verschachtelt, aber der Kern des Übels ist doch meistens eine zu geringe Kraftfähigkeit in Alltagssituationen, die durch eine Fehlhaltung korrigiert wird. Die gezielte Behandlung des Problems ist also nur ein erster Schritt. Behandelt werden aber immer nur die direkten Ursachen der Symptome, ein ganzkörperliches Defizit wird oft außer Acht gelassen.

 

Artikelbild:  planetc1/ flickr

Bild Gelenkarten: Produnis / Wikipedia