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Die kinetische Kette – Bedeutung für Sport und Training

Die kinetische Kette

Die kinetische Kette oder besser als kinematische Kette bezeichnet ist ein Prinzip der Beschreibung von Lasten auf mechanische Systeme. Unser Körper kann ebenfalls als ein solches betrachtet werden. Wichtig ist, sich zumindest einmal mit der Bedeutung dieser mechanischen Grundlagen beschäftigt zu haben, um die Auswirkungen auf Sport, Training und dessen Erfolg zu verstehen.

Die offene Kette

Robot_arm_model_1 (1)Die offene kinetische Kette lässt sich am besten anhand eines Robotorarms als mechanisches Beispiel zur Vereinfachung beschreiben. An der Abbildung erkennen wir, dass sich das Ende dieses Robotorarms frei bewegen kann – anders würde die ganze Funktion natürlich auch wenig Sinn machen. Um irgendein Gelenk dieser Kette zu bewegen, ist immer einer gewisse Kraft nötig. Wie groß diese Kraft ist, hängt von der jeweiligen von außen wirkenden Belastung und der Länge des Hebelarms ab.

Wenn wir im Fitnessstudio trainieren, finden wir Übungen mit offener Belastungskette vor allem bei Isolationsübungen. Dazu zählen z.B. die Beinstrecker und Beinbeuger Maschine, Biezeps Curls oder Trizeps Extensions.

Aber auch in anderen Sportarten finden wir offene Belastungsketten. Dazu zählen z.B. Rückschlagsportarten wie Badminton oder Tennen.

Die geschlossene Kette – hin zur funktionellen Bewegung

Abbildung: Seyfarth, A. (2005). Einführung in die Biomechanik. Teil C: Dynamik der Rotation.

Abbildung: Seyfarth, A. (2005). Einführung in die Biomechanik. Teil C: Dynamik der Rotation.

Eine geschlossene Kette erzeugt in irgendeiner Form einen Ringschluss in der Belastung. Die geschlossene Kette ist eigentlich das Grundprinzip funktioneller Bewegung. Warum? Eigentlich können unsere Muskeln nur eine Art von Bewegung auslösen: Rotation. Diese Rotation findet immer im jeweiligen Gelenk statt, das von Ansatz und Ursprung des jeweiligen Muskels umschlossen wird. Was verstehen wir unter einer funktionellen Bewegung? Im groben ganz banal gesagt: Eine Bewegung, die eine Funktion erfüllt.

Zu funktionaler Bewegung in ihrer einfachsten Form kann bereits das Gehen gezählt werden – es hat die Funktion uns von A nach B zu bringen. Aber auch Kugelstoßen wäre eine Form der funktionalen Bewegung. In diesem Fall schließt der Kontakt mit den Beinen zum Boden die kinematische Kette – zwar ist der Lastarm, der die Kugel trägt, theoretisch frei beweglich, trotzdem wird dem Prinzip nach eine lineare Bewegung durchgeführt, die der geschlossener Ketten entspricht. Die freie Beweglichkeit ist also durch Antagonisten Kontraktion fixiert.

Was vereint also  Bewegungen der geschlossenen Kette? Es handelt sich am Ende um eine lineare Bewegung. Wenn Sie etwas von sich weg drücken oder zu sich heranziehen haben Sie  eine Gerade, die den Bewegungsverlauf beschreibt.

Bedeutung für den Sport

Es ist nicht ohne Grund so, dass alle Übungen, die den sogenannten „Grundübungen“ zuzuordnen sind, ebenfalls zu den Übungen mit geschlossener Kette gehören. Dazu gehören z.B. Kniebeugen, Kreuzheben, Bankdrücken, Military Press und Co.

Die meisten sportartspezifischen Bewegungen geschehen ebenfalls in geschlossener Kette – eben deshalb ist es wichtig, diese spezifisch zu trainieren. Nehmen wir als Beispiel den oben genannten Kugelstoßer. Dieser hat sich jetzt entschieden, seine Kraftfähigkeit durch ein Training im Studio und an Maschinen zu verbessern. Als besonderer Schwachpunkt erscheint ihm sein Trizeps. Im Fitnessstudio trainiert er diesen also fleißig am Kabelzug, mit Kickbacks und diversen anderen Übungen offener Kette – immerhin bieten sich diese besonders an – hierbei spürt man den Trizeps ja auch am intensivsten.

Diejenigen, die den ersten Teil aufmerksam gelesen haben, werden aber eventuell schon an dieser Stelle das Problem feststellen: Mit seinem Training im Studio trainiert der Sportler spezifisch die Extension im Ellbogengelenk. Der Ellbogen ist in diesem Fall der Drehpunkt.

Jetzt stellt der Sportler mit Erschrecken fest, dass er zwar deutlich stärker in den Trizeps Übungen geworden ist, seine Weite im Kugelstoßen aber kaum bis gar nicht zugenommen hat. Das Problem ist in diesem Fall der Rest der Kette. Der Impuls beim Kugelstoßen beginnt in den Beinen, setzt sich über die Hüfte über den ganzen Körper fort und geht schließlich durch Schultern erst ganz zum Schluss in die Arme. Der Sportler kann zwar jetzt evt. schneller um das Ellbogengelenk rotieren, dies beeinflusst die Gesamtwirkung der Kette aber eben nur an diesem einen Gelenk. In Extemfällen kann es durch eine Abweichung von der linearen Beschleunigungsrichtung sogar zu einer Verminderung der Wurfweite kommen.(!)

Wie wir erkennen, ist hier vor allem eine maximale intermuskuläre Koordination nötig, um ein optimales Ergebnis zu erzielen – und das erreichen wir nur, wenn wir in geschlossener Kette möglichst sportartspezifisch trainieren.

In fast jeder Sportart wird die Leistung übrigens in erster Linie von der Leistung der geschlossenen Kette bestimmt. Auch wenn z.B. die Bewegung des Schlags im Badminton einer Bewegung offener Kette entspricht, spielen Fußstellung, Hüftrotation und Wirbelsäulentorsion trotzdem eine entscheidende Rolle. Der Sportler ist also nicht einfach mit einem Roboterarm vergleichbar. Vielmehr steuert hier eine geschlossene Kette eine ausgelagerte offene Kette an.

Was Training in offener Kette aber bewirken kann

Neben anabolen Effekten im Muskel selbst, verändert sich vor allem auch die intramuskuläre Koordination – also die Fähigkeit unseres Nervensystems, möglichst viele Muskelfasern auf einmal anzusprechen. In Kombination mit gezieltem Techniktraining und Training in geschlossener Kette, kann es also durchaus zu Verbesserungen im Gesamtsystem führen.

Außerdem stabilisieren Agonist und Antagonist die Gelenke bei Übungen in geschlossener Kette. Besonders bei sehr komplexen Übungen lässt sich die Belastung oft nicht nur auf eine ganz spezifische Gruppe von Agonisten zurückführen, sondern ist ein komplexes Wechselspiel von vielen verschiedenen Muskeln. Eventuelle muskuläre Dysbalancen, die zu Bewegungs- oder Haltungsstörungen führen, können gezielt reduziert werden – das ersetzt aber trotzdem nicht das spezifische Komplextraining.

Kinetische Ketten für Muskelaufbau und Bodybuilding

Funktionale Kraft ist- auch wenn es erst nicht besonders wichtig erscheinen mag- eine essentielle Grundlage – auch für Bodybuilder. Gerade Anfänger findet man oft dabei, wie sie mit Isolationsübungen versuchen, bestimmte Muskelgruppen besonders hervor zu heben. Dabei vergessen sie aber oft die Grundlagen. Eine gut ausgeprägte Kraft für komplexe Übungen sorgt dafür, dass höhere Gewichte sauber bewegt werden können. Eine Belastung mit höheren Gewichten unter Beteiligung vieler Muskeln sorgt für höhere Wachstumsreize und eine größere Ausschüttung von anabol wirkenden Hormonen. Übungen offener Kette gehören natürlich zum Bodybuilding dazu, bilden aber niemals die Grundlage. Sie sind Feinschliff und setzten spezifische Reize auf einzelne Muskeln.

Wer erfolgreich Muskeln aufbauen will, sollte also trotzdem stets die Entwicklung der Kraft in komplexen Übungen im Fokus haben.