EMS- das steht kurz für „Elektrische Muskel Stimulation“ und bezeichnet gleichzeitig eine mittlerweile sehr beliebt gewordene Trainingsmethode. Das Training mit dem Reizstrom zieht sich durch die ganze Liga der Fitnessgeräte. Vom kleinen Heimgerät, das ein effektives Training verspricht, während Sie Ihre Hausarbeit erledigen, bis hin zu sündhaft teuren EMS-Parks in Fitnessstudios, die Preise von bis zu 20 Euro für ein 20 minütiges Training verlangen. Was ist das am Ende alles wert und schlägt es traditionelle Trainingsmethoden? Nehmen Sie sich etwas Zeit, es lohnt sich, etwas mehr über EMS zu wissen, als in den Werbeprospekten der EMS-Studios steht.
Bevor man sich Gedanken machen kann, ob EMS sinnvoll ist oder nicht, sollte man sich erst einmal grundsätzlich darüber informieren, was EMS überhaupt ist, denn nur dann verstehen wir auch, ob und wann EMS sinnvoll eingesetzt werden kann und wann es einfach rausgeworfenes Geld ist. Deshalb vorab die wichtigsten Grundlageninformationen. Dazu ist auch ein gewisses anatomisches Grundverständnis notwendig.
Das Aktionspotenzial und die Simulation durch EMS
Wenn sie einen Muskel bewegen wollen, veranlassen sie ein oder mehrere Motoneuronen in ihrer Wirbelsäule dazu, ein sogenanntes Aktionspotential zu feuern. Vielleicht ist ihnen schon einmal aufgefallen, dass Sie Ihre Finger deutlich präziser bewegen können, als manch andere Körperteile. Das hängt damit zusammen, dass für unsere Hände mehr Motoneuronen für weniger Muskelfasern zuständig sind. Ein Motoneuron ist im Grunde der Taktgeber für die Aktin- und Myosinfilamente in unserer Muskulatur. Ein bisschen wir der Trommler auf einer Galeere. So ist die Intensität und Geschwindigkeit der Kontraktion unserer Muskulatur abhängig von der Frequenz, mit der das Motoneuron Aktionspotentiale durch die Nervenstränge feuert.
Dieses Prinzip macht sich EMS zu nutze. Über Elektroden an der Hautoberfläche oder sogar implantierte Elektroden kann ein Reizstrom gewählt werden. Je nach Frequenz können unterschiedliche Muskelfasern gezielt angesprochen werden. Eine Frequenz im Bereich von 50 Herz bis 200 Herz spricht eher die schnellzuckenden Muskelfasern an. Das sind die Muskelfasern, die vor allem für intensive Kraft- und Schnellkraftleistungen verantwortlich sind und am deutlichsten auch mit Hypertrophie reagieren. Eine Frequenz zwischen 5 und 10 Herz wiederum spricht eher die langsamzuckenden Muskelfasern an – also die, die für Ausdauer und Kraftausdauerleistungen wichtig sind. Auch werden Ströme mit deutlich höheren Frequenzen um die 2 Kiloherz eingesetzt, da diese aufgrund der Antiproportionalität von Widerstand und Frequenz tiefer in das Gewebe eindringen können.
Einsatz in der Rehabilitation
In der Rehabilitation ist der Einsatz von EMS schon lange Gang und Gebe. Besonders oft wird EMS eingesetzt, wenn eine Verletzung vorliegt, die über längere Zeit eine natürliche Beanspruchung der Muskulatur des betroffenen Gelenks nicht zulässt. Hier kommt es nämlich aufgrund der Inaktivität schnell zu einer Muskelathrophie. Dank EMS kann der Muskel recht gut erhalten werden, sodass eine anschließende Rehablitation schneller erfolgen kann. EMS kann sogar noch mehr. Niederfrequente Aktionspotentiale können sogar das Zusammenspiel der Muskeln mit den Motoneuronen verbessern. Es ist also so gesehen ein neuronales Lernen möglich – von dieser Methode profitieren vor allem Menschen nach schweren Unfällen mit Folgen, die sich in motorischen Störungen zeigen.
Finger weg von den Heimgeräten
Hier können wir uns eigentlich recht kurz halten. Die meisten Heimtrainer, die vor allem in erster Linie für das Training der Bauchmuskulatur gedacht sind, sind nutzlos. Das erwartete Sixpack werden diese meist mit AB-…. beginnenden Geräte nicht bringen – Sie verbrauchen einfach kaum Kalorien – und die Fettschicht ist nun einmal meist der Hauptgrund, warum es kein Sixpack zu sehen gibt. Und auch, wenn Sie das Gerät am ganzen Körper einsetzen, brauchen Sie zuerst einmal deutlich länger als bei einem normalen Training, trainieren nicht die Muskulatur in Ihrer natürlichen Funktion und erarbeiten sich unter unter Umständen muskuläre Dysbalancen. Solche Geräte gehören definitiv direkt in die Mülltonne oder am besten gar nicht erst gekauft.
EMS bei Rückenschmerzen?
Ja und nein. EMS kann bei Rückenschmerzen durchaus sehr hilfreich sein. Vor allem, wenn die Rückenschmerzen durch eine zu schwache stützende Muskulatur verursacht werden, kann sehr gezielt an der Kräftigung der Wirbelsäulen stützenden Muskulatur gearbeitet werden. Gerade bei inaktiven Menschen funktioniert das aber auch sehr gut mit den klassischen Methoden. Es gibt aber auch Rückenschmerzen, die aus motorischen Defiziten heraus entstehen. Durch ein Training mit EMS wird oft klassisches funktionelles Training vernachlässigt. Durch das Erlernen von Übungen im funktionellem Training, verbessert sich aber nicht nur der Zustand der Muskulatur, sondern es findet auch ein Bewegungslernen statt. Bestimmte erlernte Bewegungsmuster werden meist intuitiv auf den Alltag übertragen. (Jemand, der korrekt Kreuzheben kann, hebt z.B. auch meist die Bierkiste sauber ins Auto). Positiv zu bewerten ist, dass EMS Training heutzutage meist in Kombination mit klassischen Übungen durchgeführt wird. Leider reicht das für ein zweckgerichtetes motorisches Lernen nur bedingt aus. EMS sollte also nicht die einzige Therapieform bei Rückenbeschwerden sein, stellt aber eine sehr gute Ergänzung dar.
EMS als Trainingsalternative oder EMS als Ergänzung zum Sport?
Wenn Sie EMS aufgrund der Kürze das Trainings als Alternative zum klassischen Krafttraining nutzen wollen, müssen Sie sich die Frage stellen, warum genau Sie trainieren wollen. In fast alles Fällen kann EMS keine vollständige Alternative zum klassischen Krafttraining darstellen. Warum EMS keine vollständige Alternative sein kann, verstehen Sie am besten, wenn sie sich den letzten Abschnitt „Probleme von EMS“ durchlesen. Um als Sportler eine echte Athletik zu entwickeln sind die motorischen Komponenten einfach zu wichtig – und die errreichen Sie nur, wenn Sie komplexe Übungen erlernen und diese trainieren. Wohl aber eignet sich EMS als Ergänzung zum sonstigen Training. Nicht umsonst haben viele Profisportler EMS-Training in ihren Trainingsplan integriert. Unsere motorischen Einheiten sind eben in ihrer Leistung beschränkt – EMS kann eine Aktivierung über diese natürliche Leistungsgrenze auslösen und somit den Trainingseffekt verstärken.
Probleme vom EMS
Echte Probleme mit EMS (Sofern Sie keinen Herzschrittmacher tragen, an multipler Sklerose leiden o.ä.) gibt es eigentlich nicht, wenn es als Ergänzung zum sonstigen Sport und sonstigem Training eingesetzt wird. Wird es allerdings als einzige Trainingsmethode betrieben können sich Probleme zeigen.
Passive Strukturen profitieren zwar auch in gewissem Maße von dem Reizstrom, echte Anpassungen an höhere Belastungen erreichen Sie aber nur durch eine gezielte, allmähliche Belastungssteigerung. Vor allem in Sportarten mit schnellen Richtungswechseln, intensiven Sprints und Stoßbewegungen sind feste Bänder und Sehnen essentiell. Wird lange Zeit nur mit EMS trainiert, kann die muskuläre Fitness unter Umständen sehr gut sein, während die passiven Strukturen der Belastung nicht gewachsen sind. Schnell kann sich der Sportler überlasten, was zu Verletzungen führen kann.
Das zentrale Problem ist aber vor allem die Koordination. EMS macht keinen Sportler aus Ihnen. Auch, wenn EMS in der Lage ist, motoneuronale und muskuläre Aktivität zu kombinieren, liegt unser motorisches Zentrum immer noch im Kleinhirn (ganz hinten im Schädel). Und dieses trainieren Sie nur durch das gezielte Training von komplexen Bewegungen.
Gesunde und starke Muskeln sind eben nicht alles, was einen gesunden Menschen oder einen Sportler ausmacht. Es ist die Kombination aus Muskulatur, passiven Strukturen, Motorik und unserem Herzkreislaufsystem(Dass EMS kein effektives Herz- Kreislauftraining darstellt, brauchen wir an dieser Stelle wohl nicht mehr zu erwähnen).