Dies ist der Artikel Nr. 2 des Sport-Attack Beweglichkeitsspecials. Alle Artikel des Specials:
Als Kleinkind sind die meisten von uns noch sehr beweglich. Lediglich festgelegte passive Strukturen begrenzen unsere Beweglichkeit. Zunehmendes Alter und die Spezialisierung auf verschiedene Bewegungsmuster sorgen dafür, dass sich die motorische Fähigkeit der Beweglichkeit immer weiter zurückbildet.
Grundsätzlich: Das SAID-Prinzip gilt auch für unsere Beweglichkeit
SAID steht für specific adaptation to imposed demands und bedeutet, dass unser Körper sich immer den Anforderungen anpasst, die an ihn gestellt werden. Genauso heißt das aber auch, dass wir Fertigkeiten, die wir nicht benötigen, auch irgendwann wieder verlieren. Unser Körper ist eben ein Meister im ökonomischen Umgang mit Ressourcen. Für die Beweglichkeit bedeutet das, wenn wir uns an der Grenze unserer Beweglichkeit bewegen und volle Bewegungsradien regelmäßig nutzen und eventuell ein wenig darüber hinaus gehen, wird unser Körper sich der Belastung irgendwann anpassen und mehr Bewegung zulassen. Andersherum gilt das natürlich auch für einen Mangel an Bewegung. Bewegen wir unseren Muskel immer nur über einen Teil des möglichen Bewegungsradius, wird die Fähigkeit, größere Bewegungsradien zu nutzen wegrationalisiert.
Aber was genau beeinflusst eigentlich unsere Beweglichkeit? Sicher ist auf jeden Fall, dass nicht nur ein Kriterium für das Ausmaß unserer Beweglichkeit zuständig ist. Sowohl neurologische als auch morphologische Veränderungen verschiedenster Strukturen können Einfluss auf unsere Beweglichkeit nehmen. Deshalb sollten wir uns die Elemente unseres Körpers, die unsere Beweglichkeit begrenzen können einmal genauer ansehen.
Der passive Bewegungsapparat – Knochen, Gelenke, Bänder, Knorpel und Bandscheiben
Unser passiver Bewegungsapparat bestimmt das Maximum an erreichbarer Beweglichkeit. Das beste Beispiel für eine knöchernde Einschränkung der Beweglichkeit ist das Hüftgelenk. Es gibt durchaus viele Menschen, die aufgrund der knöchernen Struktur ihres Oberschenkelknochens niemals in der Lage sein könnten, einen Spagat auszuführen oder einfach nur eine überdurchschnittliche Beweglichkeit im Hüftgelenk zu erreichen. Aber auch durch Verletzungen oder Überlastung entstandene Verwachsungen können zu Beweglichkeitseinschränkungen führen, die sich, wenn überhaupt nur operativ beheben lassen.
Wird beispielsweise die Bandstruktur des Fußgelenks beschädigt, kompensiert unser Körper die beschädigten Bänder durch Narbengewebe. Dieses ist zumeist nicht so elastisch und funktionsfähig, wie das alte Band. Es kommt zu einer Verringerung der Beweglichkeit.
Aber auch das Gegenteil kann der Fall sein. Wird beispielsweise ein Kreuzband im Kniegelenk beschädigt, kann unser Körper dieses nicht vollständig kompensieren. Es kommt die einer Überbeweglichkeit, die sich z.B. durch den sogenannten Schubladentest messen lässt. Es lässt sich somit schon an dieser Stelle festhalten, dass mehr Beweglichkeit nicht unbedingt immer besser ist. Kraft kann eben immer nur sinnvoll eingesetzt werden, wenn sie steuerbar ist.
Der aktive Bewegungsapparat
Propriorezeptoren – Die Muskelspindeln
Propriorezeptoren finden sich nicht nur in unserer Muskulatur, sondern auch in unserer Haut und unseren Gelenkkapseln. Die größte Bedeutung kommt aber wohl den Rezeptoren in unserer Muskulatur zu. Propriorezeptoren übermitteln Informationen über verschiedene Zustände unserer Muskulatur und Gelenkwinkel an unser Nervensystem und unser Gehirn. Für verschiedene Aufgaben haben wir verschiedene Rezeptoren.
Das Golgi-Sehnenorgan übermittelt Informationen über die aktuelle Spannung im Muskel und befindet sich am Übergang vom Muskel zu Sehne. Ruffini-Körperchen kommen in unseren Gelenkkapseln vor. Ihre Aufgabe ist es vor allem, Information über die Bewegungsgeschwindigkeit zu übermitteln. Vater-Pacini-Körperchen sorgen dafür, dass wir Vibrationen wahrnehmen können. Die neben dem Golgi-Sehnenorgan wichtigsten Rezeptoren, die Auswirkungen auf unsere Beweglichkeit haben, sind wohl die Muskelspindeln. Die Muskelspindeln sind dafür verantwortlich, den Dehnreflex auszulösen.
Was genau sind Muskelspindeln?
Muskelspindeln sind kurze Muskelfaserverbünde (5-10mm). Im zentralen Kern dieser Muskelfasern befindet sich ein nicht kontrahierbarer Teil. Dieser reagiert auf Spannung durch Dehnung mit einem Kontraktionssignal. Haben wir also die Grenze unserer Beweglichkeit an dieser Stelle erreicht, wird unser Muskel kontrahieren und keine weitere Bewegung zulassen. Die Spannung unserer Muskulatur lässt erst nach, wenn auch die Spannung im Kern der Muskelspindeln nachlässt.
Die Empfindlichkeit der Muskelspindeln in steuerbar
Die Propriorezeptoren besitzen üblicherweise nur eine Kommunikationsrichtung. Vom Rezeptor zum Nervensystem. Das nennt man übrigens eine afferente Versorgung. Die Muskelspindeln können aber auch efferent versorgt werden. Das bedeutet, dass es zwei Kommunikationswege gibt. Man kann sich das ein wenig, wie den Unterschied vom Radio zum Telefon vorstellen. Das bedeutet für die Muskelspindeln, dass unser Nervensystem Einfluss auf die Empfindlichkeit der Muskelspindeln nehmen kann. So lässt sich auch erklären, warum durch häufiges Einnehmen einer Position und einem Gewöhnen durch Dehnen der Dehnungsreflex später einsetzt. Unbewusst wird durch die regelmäßige Nutzung maximaler Bewegungsradien die Sensibilität der Muskelspindeln heruntergefahren.
Muskelfaszien
Muskelfaszien sind sozusagen die Hülle eines Muskels. Lange Zeit wurden Sie auch eben bloß als diese Hülle abgetan, bis man zu dem Entschluss kam, dass Faszien doch eine ganz entscheidende Bedeutung für unserer Bewegung haben. Denn sie sind nicht nur die einfache Hülle eines Muskels, sondern durchziehen in einem komplexen Geflecht unseren ganzen Körper.
Die Hauptaufgabe der Faszien ist es, die einzelnen Muskeln in ihrer Funktion voneinander zu trennen, sodass sie sich gegenseitig nicht behindern. Faszien haben aber auch eine besondere Bedeutung für die Beweglichkeit. Darauf wird in einem speziellen Artikel dieser Artikelserie besonders eingegangen.
Aktive Elemente des Muskels – Sarkomere
Ein Sarkomer ist der kleinste funktionelle Teil unserer Muskulatur. Viele von ihnen hintereinander bilden Myofibrillen, welche letzen Endes unsere Muskelfasern bilden. In unseren Sarkomeren befinden sich Aktin und Z-Scheiben, sowie Myosin und M-Scheiben. Diese Elemente sind für die Kontraktion verantwortlich. Unter Energieaufwand können sich diese Elemente ineinander verkeilen und das Sarkomer verkürzt sich. So entsteht eine Kontraktion. Je mehr Sarkomere hintereinander vorhanden sind, desto länger kann der Muskel werden. Das gilt auch für die Muskelfasern der Muskelspindeln. Ein wenig kann man sich das wie bei einer Spirale vorstellen. Jedes weitere Teil sorgt in der Grundstruktur zwar nicht für einen wirklich wahrnehmbaren Längenzuwachs, vergrößert aber das Potential. Ein wie weit eine solche Reihenschaltung von Sarkomeren Einfluss auf unsere Beweglichkeit hat, darauf geht auch ein weiterer Artikel dieser Artikelserie ein.