Jeder, der der im Biologieunterricht der Schule bei den Grundlagen ein wenig aufgepasst hat, wird jetzt natürlich direkt sagen: Nein, natürlich nicht! Wenn es um die Verteilung der Gene beim Prozess der Erbens geht, ist davon auszugehen, dass sich ausschließlich Mutationen in der Keimbahn auf die vererbten Informationen auswirken. So weit so richtig. Diesem Duktus zufolge ist es unmöglich, erworbene Eigenschaften zu vererben. Fitness und Muskelaufbau zählen aber eben zu diesen erworbenen Eigenschaften. Kann der Nachwuchs von körperlich fitten Eltern dennoch profitieren? So scheint es tatsächlich zu sein. Während Lamarcks* Theorie eigentlich als widerlegt galt, haben sich mittlerweile nun doch einige Studien ergeben, die die Vererbung von erworbenen Eigenschaften bestätigen – doch wie kann das möglich sein?
*Jean-Baptiste-Lamarck: Bekannt für den Lamarckismus. Vererbung von erworbenen Eigenschaften. Bekanntestes Beispiel: Die Giraffe bekam ihren langen Hals durch immerwährendes
Lamarck: Vererbung erworbener Eigenschaften- eine heute überholte Theorie
Strecken. Diese erworbene Verlängerung gab sie an ihre Nachfahren weiter. Diese Art der Weitergabe erworbener Eigenschaften ist widerlegt.
Vererbung – Biologische Grundlagen
Natürlich werden bereits bei der Keimzellenbildung während der Meiose durch Effekte wie z.B. Crossing over oder der zufälligen Anordnung/Verteilung der homologen Chromosomen Informationen neu gemischt. Um den Effekt dahinter genau zu verstehen, müssen Sie die entsprechenden Prozesse nicht unbedingt genau kennen. Es reicht an dieser Stelle aus, sich auf die Analogie eines Kartenspiels zu berufen. Sie haben mehrere Kartenspiele. Sie sortieren die Karten nach Bildern. Alle Asse auf einen Stapel, alle Könige, alle Buben usw.. Nun mischen Sie die Karten gut durch. Anschließend verteilen Sie die Karten an jeden Spieler gleichmäßig. Obwohl eigentlich alle Spieler am Ende die gleichen Karten auf der Hand haben, hat doch jeder irgendwie eine andere Kombination an Versionen der Karten. Diese stehen für unterschiedliche Versionen von geerbten Genen.
Sie beginnen das Spiel. Obwohl alle die gleichen Bilder auf der Hand haben, kann es doch von der jeweiligen Version der Karte abhängen, ob die Karte nun nützlich ist oder nicht. Außerdem ist es mindestens genau so wichtig, wann und ob ein Spieler die Karte auch wirklich einsetzt.
Was soll jetzt dieses skurrile Beispiel mit den Karten? Nun, es soll zu aller erst einmal verdeutlichen, dass es bei der Vererbung nicht nur darauf ankommt, was vererbt wird, sondern auch ob das Gen überhaupt aktiviert wird. Genau so, wie sich ein Spieler entscheiden kann, eine Karte zu spielen oder auch nicht, kann unser Körper die Expression von Genen – beeinflusst durch die Umwelt- regulieren.
Jetzt hat die Erfahrung des Kartengebers gezeigt, dass das vorzeitige spielen einer bestimmten Karte das ganze Spiel durcheinander bringt. Wenn ich nun ein trickreicher Kartengeber bin und möchte, dass ein Spieler eine bestimmte Karte nicht spielt, kann ich ihm das markieren, indem ich die Karte z.B. mit einem kleinen Knick markiere. Interessanterweise scheint auch unser Körper einen Mechanismus gefunden zu haben, solche Informationen für den Umgang mit den geerbten Genen weiter zu geben.
Epigenetik
Die Epigenetik beschäftigt sich mit der Steuerung unserer Gene. Wären alle unsere Gene ständig aktiv, würde das zu einem einzigen Chaos im Körper führen. Wir wären so wohl nicht einmal lebensfähig, da viele regulierende Prozesse in unserem Körper von der zeitweisen Aktivierung verschiedener Gene abhängen.
Unser Körper kann also Gene ein- und ausschalten, indem er unsere DNA methyliert, die Histone (Das „Gerüst“ für die DNA) modifiziert oder die Telomere (Enden der Chromosomen) schneller abbaut. Wird eine Zelle kopiert, können diese chemischen Modifikationen der DNA ebenfalls mit übernommen werden. Die neue Tochterzelle besitzt also die gleiche Steuerkonfiguration, wie die Mutterzelle. Normalerweise bezieht sich dieser Prozess auf die Fortpflanzung unserer somatischen Zellen – also unseren Körperzellen, mit denen wir uns selbst nicht fortpflanzen können.
Epigenetik in der Keimbahn? – unklar!
Können ähnliche Prozesse dann auch die Eigenschaften der Zellen der Keimbahn beeinflussen? Das ist noch nicht ganz klar. Fakt ist, dass es durchaus chemische Modifikationen in Samenzellen gibt, die die spätere Ausprägung von Genen beeinflussen. Bekannt ist in dieser Hinsicht z.B. das sogenannte „Imprinting“. Dabei ist die Expression eines Gens davon abhängig, ob es von der Mutter oder von dem Vater vererbt wurde. Würde lediglich die DNA an sich vererbt, dürfte dieser Umstand aber nicht zu Stande kommen. Auch ergeben sich für die Modifikation von Keimzellen völlig andere Muster als bei der Modifikation von somatischen Zellen für bestimmte Gene. Eine chemische Modifikation einer somatischen Zelle ist also nicht so einfach 1:1 auf eine Keimzelle übertragbar.
Zwischenfazit: Die Vererbung von erworbenen Faktoren wie körperliche Fitness ist zwar denkbar, aber noch nicht im Detail erklärbar. Keineswegs werden hier jedoch Lamarcks Theorien wiedererweckt. Sicher ist, dass der Großteil der körperlichen Fitness durch Modifikation der DNA somatischer Zellen – beeinflusst durch Umweltumstände – zustande kommt. Sprich: Nur weil der Stammbaum sich stets fit gehalten hat, bedeutet das nicht, dass Sie darauf verzichten können.
Studien zu Weitergrabe erworbener Eigenschaften
1. Mäuse mit Gedächtnisproblemen
Therapieerfolg der Eltern – vererbbar?
Forscher aus den USA haben über mehrere Generationen hinweg Mäuse beobachtet. Diese hatten einen Defekt im Ras-GFR1-Gen. Dieses sorgt dafür, dass die Mäuse verminderte Gedächtnisleistungen aufweisen. Diese können aber mithilfe von Bewegung, buntem Spielzeug und viel Aktivität therapiert werden. Bis zu drei Monate hält der Effekt der Therapie an und während dieser Zeit wurden die Tiere auch schwanger. Ergebnis: Die Nachkommen weisen zwar den Gendefekt auf, profitieren aber scheinbar vorerst von dem Training der Mutter. Erst nach einem Monat stellte sich eine Verschlechterung der Gedächtnisleistung ein. Die Mäuse scheinen also einen Regulationsmechanismus des Ras-GFR1 Gens von der Mutter geerbt zu haben.
Studie: Junko Arai (Tufts University, Boston) et al.: Journal of Neuroscience (Bd. 29, S. 1496).
2. Vererbter Muskelaufbau
Fitte Eltern- Fitte Nachkommen?
Richard Howlett und Scott Kirkton untersuchten 18 Generationen von Ratten. Diese teilten sie in zwei Gruppen ein. Eine Gruppe wurde für körperliche Betätigung begeistert, die andere eher bewegungsarm gehalten. Ergebnis: Ab etwa der 7. Generation zeigte sich, dass die Mäuse der trainierenden Eltern von vornherein ein größeres Lungenvolumen, größere Herzen und eine bessere Durchblutung der Muskulatur aufwiesen- bevor Sie ihr eigenes „Training“ begonnen haben. Die untrainierten Ratten zeigten diese Adaptation nicht.
Hinweis: Fraglich ist natürlich, ob hier der positive Effekt der vererbten Genregulation oder lediglich metabolischen Vorteilen während der Schwangerschaft zu verdanken ist – jedoch hätten in diesem Fall die Veränderungen eigentlich schon früher – in der 2. Generation – auftreten müssen.
Studie: American Physiological Society Journals
Fazit
Papa war fit, also wird Sohn es auch – ganz so einfach ist es wohl nicht. Dass ganze Familien in bestimmten Sportarten gut sind, liegt wohl in erster Linie an der grundlegenden genetischen Ausstattung, sowie der Erziehung. Wer das passende Basispaket hat, kann damit eben auch gut arbeiten. Dennoch scheint irgendwo etwas dran zu sein, wie die zwei ausgewählten Studien zeigen. Unser Verhalten und im sportlichen Sinne unser Training steuert wohl in erster Linie unsere eigenen somatischen Gene. Um Bewegung kommen Sie also auch als Kind von Topathleten nicht herum. Dennoch könnten Kinder und zukünftige Generationen von aktiven Eltern profitieren.